Fragen zu verwellten Schallplatten - Experten antworten
Vermutlich kennt das jeder Vinyl-Fan: man kauft ne Schallplatte, legt sie ins Auto und geht noch schnell weiter einkaufen. Und vergisst, dass die Sonne um die Ecke kommt. Zurück im Auto, oh
Schreck, die Platte! Zuhause ist das Malheur groß: eine satte Welle sorgt dafür, dass diese LP nicht mehr abspielbar ist!
Eine andere Situation: Eine Plattenkiste im Wohnzimmer abgestellt, eine ganz schöne Schlepperei. Zur Stärkung erst mal etwas essen. Zurück bei den Scheiben, das Zimmer ist mittlerweile schön
warm, kommt mit Schreck ein Verdacht: Die LP-Kiste stand zu nah an der Heizung, die sich inzwischen eingeschaltet hat. Na klar, die vorderste LP ist arg verwellt, schöner Mist.
Diese beiden Beispiele mögen stellvertretend sein für tausende andere, ähnlich Fälle. Sie sind leider meist nicht mehr reparabel. Auch der beste Plattenbügler vermag da in der Regel nicht mehr zu
helfen, sobald die Rille durch Wärmeeinwirkung verformt ist. Ist die Welle dagegen noch gering und die Rille sieht gegen das Licht genau betrachtet noch normal aus, besteht Hoffnung - hier kann
man noch einen Erfolg bei der Begradigung erzielen.
Was aber hat es mit den verwellten LP auf sich, die fabrikneu sind? Und wie entstehen Verwellungen eigentlich durch falsche Lagerung? Ich möchte in diesem Bericht auf diese Fälle eingehen und
dazu Fachleute befragen.
Die Fragen
1. Kann eine LP durch falsche Lagerung wellig/krumm werden, z.B. durch schräges Aufstellen im Plattenregal bei 30° und mehr zur Vertikalen?
2. Verwellen normalgewichtige LPs eher als 180g schwere Scheiben?
3. Welche Erfahrungen habt ihr bezüglich Verwellung nach der Fertigung?
4. Könnte es sein, dass Schwankungen bei der Zusammensetzung des Vinyl-Granulat eine Ursache für Verspannungen in der gepressten Schallplatte und den daraus resultierenden Verwellungen
sein?
5. Wie weit kann man Vinyl erwärmen, bis es die Rillen-Form (die beim Pressvorgang entstanden ist) ändert?
6. Welche Vinyl-Sorten neigen am meisten dazu, sich zu verziehen bzw. wellig zu werden?
7. Warum sind beim Begradigen LPs früherer Jahrzehnte schwieriger?
8. Warum haben US-LPs nach dem Begradigen oftmals eine veränderte Oberfläche (tausende kleine Krater)?
9. Welche Irrtümer zum Thema Verwellte Schallplatten würdet ihr gerne ausräumen?
10. Ab welchem Grad der Verwellung (z.b. Höhenunterschied in mm) ist eurer Meinung nach das Musiksignal bei der Abtastung definitiv gestört?
Die Antworten
Andreas Bauer, Mit-Inhaber der Presswerkes MY45
1. Ja, durch falsche Lagerung können sich Platten durchaus verziehen. Am besten ist wirklich senkrecht lagern, wenn sich das Cover nicht zu stark durchbiegt, dann ist eine schräge Lagerung auch
o.k.
Vom Flohmarkt kennt man vielleicht diese Cuver Kisten, aus denen die Platten einige Zentimeter herausragen. Wenn hier zuviel Druck ausgeübt wird, verziehen sich die hintersten Platten ganz gerne
mal an eben der Oberkante der Kiste.
2. Wenn die Platten gut gepresst sind, also das Presswerk schön plan verlassen haben, ist der Unterschied zwischen 140/180g relativ gering. Generell verzieht sich dickeres Material langsamer als
dünneres.
3. Verwellung bei/nach der Fertigung ist natürlich ein Thema. Es gibt beim Pressen einige Parameter, die ausschlaggebend sind, ob die dies bzgl. Platte gut wird. Das sind z.B. Heizzeiten, dann
gibt es noch Zeiten, in denen sich die Hitze vor dem eigentlich Pressen in der Form bzw. dem Stamper verteilen kann. Dies ist sehr wichtig, und hier wird gerne mal Zeit gespart, um die Maschine
schneller laufen zu lassen. Je gleichmässiger die Temperatur verteilt ist, desto grader werden auch die Platten.
Wichtig ist auch, dass die Platten lange und gleichmässig abgekühlt werden, da PVC sich beim
erkalten gerne noch verzieht. Durch das verwendete Etikettenpapier können auch Spannungen in der Platte auftreten.
4. Schwankungen im PVC können durchaus vorhanden sein. Dies ist ein Problem, was die Industrie aber schon seit vielen Jahren hat. Oft werden auch die PVC-Compounder (das sind die Firmen, die aus
den einzelnen Zutaten das PVC-Granulat herstellen) mit unterschiedlichen Qualitäten beliefert werden, was immer wieder zu Qualitätsschwankungen führt. Allerdings sind hier die Auswirkungen auf
die Welligkeit unserer Erfahrung nach relativ gering.
5. Wie weit die Schallplatte maximal erwärmt werden kann, hängt vom verwendeten PVC-Rezept ab. Es gab über die Jahre hinweg immer wieder Änderungen in den Rezepturen, da z.B. einige Inhaltstoffe
in der EU nicht mehr erlaubt sind. Zu den Anfangszeiten der Vinylschallplatte wurde z.B. eine Blei-Stabilisierung eingesetzt, diese ist schon seit vielen Jahren aus gesundheitlichen Gründen
verboten. Diese Rezeptur lies sich aber in der Produktion bestens verarbeiten.
Es gibt auch große Unterschiede, was die Fließfähigkeit des Material angeht. Ich vermute mal, dass derzeit
mind. 50-60 verschiedene Schallplatten PVC-Sorten aktuell im Einsatz sind. Jedes Sorte hat andere
themoplastische Eigenschaften, schmilzt also auch bei unterschiedlichen Temperaturen.
6. Die Sorten, die am schnellsten fließen (geringe Viskosität), also bei niedrigen Temperaturen weicher sind als andere, verziehen sich dann auch schneller. Diese Parameter werden, wie oben
angeführt, durch die PVC-Rezeptur bestimmt. Z.B. haben auch die farbigen PVC Sorten durchgängig eine geringere Viskosität.
7. PVC hat meines Wissens auch einen sogenannten "Memory Effekt", d.h. es "erinnert" sich gerne mal (vor allem bei Erwärmung) an Formen, die es früher schon mal angenommen hat. Prinzipiell werden
bei Erwärmung Spannungen im Material verändert bzw. ausgeglichen. Wenn die Schallplatte z.B. über viele Jahre krumm
gelagert wurde, dann kann dieser Memory Effekt verschwinden, bzw. die Spannungen sind über die Jahre z.B. von der Oberfläche in das gesamte Material übergegangen.
8. Wenn die Schallplatten Veränderungen in der Oberfläche aufweisen, ist vermutlich zu heiß begradigt worden, oder das PVC hat durch die Temperaturveränderung die Oberfläche verändert. Dies kann
auch durch die Beigabe von sog. "Regranulat" kommen. PVC lässt sich relativ gut recyceln, allerdings verändern sich bei
erneutem Pressen wiederum die oben angesprochenen Eigenschaften, Viskosisät usw. Außerdem kann das Material spröde werden, dann kann es zu Veränderungen in der Oberfläche kommen (z.B.
kleinste Löcher, Risse etc.).
9. Es wird meist angenommen, wenn Platten verzogen sind, hat das Presswerk nicht ordentlich gepresst. Oft sind die Platten beim Transport aber noch ziemlichen Umwelteinflüssen ausgeliefert. Es
gibt zwar Möglichkeiten, in kleineren Chargen zu verschicken, das ist sehr teuer, und wird von den meisten (zumindest unserer) Kunden nicht in Anspruch genommen.
10. Je grader die Platte, desto besser natürlich. Sobald sich die Nadel durch eine verzogene Platte bewegt, werden tieffrequente Schwingungen aufmoduliert, die u.U. auch hörbar sind. Das
kommt natürlich auch auf die Art der Verwellung an. Ich würde mal sagen, dass es ab ca. 0.3-0.5mm schon hörbar ist. Eine tellerförmige Verwellung ist kaum zu hören, vorausgesetzt, die Platte
liegt noch einigermaßen gut auf dem Teller.
Dr. Ulrich Kathe, Entwickler des Plattenbügler flat. / AFI - audio fidelity improvement
1. Ja! Das habe ich absichtlich ausprobiert. Besonders wenn die Platten schräg in der Wärme stehen, verbiegen sie sich recht schnell.
2. Das wäre einen interessanten Versuch wert! Man bräuchte dazu zwei unterschiedlich schwere Platten aus dem gleichen, homogenen Material gepresst. Dann müsste man noch die Lagerbedingungen
während des Verformungsvorganges definieren (z.B. Schräglage) und vielleicht 40°C. Ich würde bei diesem Versuch erwarten, dass sich dann wegen des höheren Gewichtes sogar die 180 g-Scheibe
stärker oder schneller verformt.
5. So weit habe ich es noch nicht getrieben. Auf jeden Fall spielt aber neben der Einwirktemperatur auch die Einwirkzeit eine Rolle! Beide sind beim flat. sinnvoll geregelt. Es hängt übrigens arg
von der Vinylmischung ab, bei welcher Temperatur die Platte weich wird. Bei Erfordernis kann man beim flat. nicht nur die Einwirkzeit, sondern auch die Bügeltemperatur im "Expert"-Programm
umkonfigurieren
8. Meine Vermutung für die Ursache des Entstehen der Krater ist ganz einfach Feuchtigkeit im Vinyl-Material. PVC selbst nimmt eine merkliche Menge an Feuchtigkeit auf. Das habe ich selbst
ausprobiert und das ist auch in der Fachliteratur beschrieben. Die Feuchtigkeitsaufnahme kann noch durch bestimmte Zuschläge zum Vinylmaterial, z.B. durch Farbstoffe, die Ihrerseits hygroskopisch
sein können, also Wasserdampf binden, verstärkt werden. Wird die Wasserdampf-enthaltende Platte zu schnell aufgewärmt, entstehen die beschriebenen Krater. Um diesem Fall vorzubeugen, hilft es
nur, die Platte beim Bügeln langsam aufzuheizen und die dabei austretende Feuchtigkeit von der Platte gut wegzuleiten. Diese Aufgabe übernehmen beim flat. ganz spezielle Filzmatten, die
flat.-mats.
10. Nach meiner Meinung ist auch eine kleine Welle der Wiedergabe abträglich. Man muss sich nur vergegenwärtigen, wie grundfalsch die Abtastnadel auf der "Welle" steht. Wenn man Wellen auf der
Platte akzeptiert, könnte man sich an Plattenspieler/Tonarm/Abtastsystem auch jede allgemein anerkannte Justierung (waagerechte Ausrichtung, Auflagegewicht, Tonarmhöhe, VTA, Azimuth...)
sparen.