Klangverbesserung von Vinyl Schallplatten, wer möchte das nicht? Zu den ganz unterschiedlichen Ansätzen, die Vinyl-Fans seit Jahrzehnten verfolgen, ist seit geraumer Zeit die Methode des Tempern hinzugekommen. Da wir bei Vinylclean mit dem Plattenbügler FLAT. arbeiten, möchten wir dessen spezielles Relax-Programm beleuchten, das eine Steigerung der akustischen Qualitäten einer Schallplatte ermöglichen soll. Aber funktioniert das wirklich?
Der Hörvergleich mit getemperten Schallplatten
Um die Eingangsfrage zu beantworten: Ja!
Ich werde es auch gerne begründen, möchte aber niemand überzeugen oder bekehren wollen, der dazu Skepsis hat. Es geht mir hier lediglich um eigene Erfahrungen und den Versuch, auch technisch ein wenig zum Verständnis beizutragen.
Zunächst zu den Erfahrungen:
Mir liegen vier verschiedene Alben vor, von denen ich jeweils zwei Exemplare habe (also insgesamt 8 LPs).
Beide Exemplare wurden jeweils auf einer Profi-Maschine gewaschen - eines davon wurde dann mit dem Relax-Programm des AFI FLAT getempert. Somit war ich in der Lage, einen echten AB-Vergleich zu machen. Auf diese Weise bin ich nicht in die Situation gekommen, dem rein subjektiven „Hören wollen“ nach der Behandlung zu unterliegen. Da man sonst eben nur ein einziges Exemplar besitzt und eben nur aus dem Gedächtnis heraus hören und überlegen kann, wie es wohl vorher geklungen hat.
Das Ergebnis bzw. die Unterschiede wirken zunächst gar nicht so spektakulär, aber sie wirken. Es sind feine Details, eine geschmeidigere Darstellung der Instrumente, ein insgesamt angenehmeres Klangbild. Tatsächlich entfaltet sich die Wirkung nach längerem Hören einer auf diese Weise getemperte LP, es ist einfach auch ein entspannteres Hören.
Ich möchte dazu anmerken, dass hier die Güte einer Hifi-Kette einen ebenso wichtigen Einfluss auf das Ergebnis hatte wie die Qualität der Schallplatte bzw. deren Aufnahme. Denn am deutlichsten wurde es mit der LP „Yael Nachshon Levin - Tigers And Hummingbirds“ - einer reinen AAA-Produktion. Hier wurde die Unterschiede doch am deutlichsten zu hören. Die akustischen Vorteile der Relax-Version zeigen sich durch eine deutlichere Präsenz der Instrumente, die Stimme wirkt deutlich fokussierter. Anspieltipp ist die faszinierende Nummer „Tiger“.
Ebenso bei der ECM-Platte „Michael Mantler - Alien“, dem 2016er Reissue. Ich habe gleich den ersten Teil dafür herangezogen, das mit einem ziemlich intensiven Drum-Gewitter beginnt und ersten nach ca. 1:40 Minuten kommt die Trompete zum Einsatz. Diese Linn Drums zeigen sich druckvoller, der elektronische Charakter neigt sich zu einem etwas angenehmeren weichen Klang. Die Trompete kommt geschmeidiger, ohne dabei Strahlkraft zu verlieren.
Zu den technischen Hintergründen
Was sollte sich an der Rilleninformation ändern, wenn eine LP getempert wurde? Vermutlich würden wir alle hier so gemütlich versammelten unisono antworten: gar nichts. Der entscheidende Punkt ist hier tatsächlich das Wörtchen „vermutlich“.
Auch wenn wir bei der (alten) Technik einer Schallplatte auf viele Jahrzehnte Erfahrung zurückgreifen können, so fehlen bis heute in manchen Teilbereichen wissenschaftlich Grundlagen. Und daran wird sich auch heute nichts mehr ändern.
Was man aber zumindest über einen für das Tempern einer Schallplatte wichtigen Aspekt sagen kann ist, dass auch hier die in der Industrie üblichen Kenntnisse über das Tempern einfließen. D.h., Kunststoff wird getempert, um dem Material eine bessere Steifigkeit, Härte und Abriebfestigkeit zu verleihen. Übersetzt für eine Schallplatte bedeutet das zweierlei:
1. Bei der Schallplattenpressung wird das Ursprungsmaterial PVC sowohl der Wärme als auch einem enormen Druck ausgesetzt, es „zerfließt“ während dem Pressvorgang mehr oder weniger gleichmäßig in die Form der Matrizen.
Danach kühlt die fertige Schallplatte ab. Ist alles perfekt gelaufen, ist die LP plan und klingt gut. Wird die LP nun getempert, wird den Angaben zufolge die kristalline Struktur des Vinyl verbessert und die Flanken der Rille quasi gehärtet, genauer gesagt stabilisiert. Die (harte) Nadel sorgt also für weniger Abrieb im (weichen) Vinyl und vermutlich dürfte in diesem Zusammenhang auch das Auslesen der in der Rille gespeicherten Informationen sauberer stattfinden.
2. Wer schon einmal die Unterschiede im Vinylmaterial festgestellt hat (z.B. US-LPs, die etwas härter wirken als die EU-Scheiben), wird vielleicht nachvollziehen können, dass eine Erhöhung der Stabilität des Materials (welche man übrigens messen kann!) auch klangliche Auswirkungen haben dürfte.
Wohl gemerkt, eine wissenschaftliche Abhandlung ist das natürlich nicht. Aber diese Gedanken und auch Rückschlüsse über bereits vorhandene technischen Hintergründe können zum Verständnis beitragen.
Ganz entscheidend jedoch ist, dass die beste Antwort auf die Eingangsfrage die eigene Erfahrung ist! Probiert es einfach einmal aus und entscheidet selbst.
Komponenten für den Hörtest
Die Anlage besteht aus einem Verdier Laufwerk mit EMT-Tonarm und Clearaudio Concept Signatur, via Übertrager an einem Vollverstärker Euphya Alliance 250 und Lautsprecher Roiene. Der Tonabnehmer ist penibel justiert, als Rack dient ein Selbstbau aus massiven schichtverleimten Birkenholz. Selbstverständlich wurde die Lautstärke während dem Hörtest nicht verändert.
Die hier vorgestellten LPs sind allesamt sehr hochwertig und von diesem Test unabhängig empfehlenswert. Ich bedanke mich bei den Firmen Deutsche Grammophon, In+Out Records, ECM Records und LowSwing Records, dass sie für dieses Experiment ihre Schallplatten zur Verfügung gestellt haben.
Bruce Liu - Waves (2 LP, 180g Vinyl)
Mit dieser Doppel-LP präsentiert der kanadisch-chinesische Pianist Bruce Liu (Gewinner des 18. Internationalen Frederic Chopin Klavierwettbewerb 2021) eine Solo-Einspielung von Stücken von Rameau, Ravel und Alkan sowie Eric Satie. Für den Vergleich habe ich mir das Stück „Les Sauvages“ herausgesucht, bei dem er mit feiner Fingerfertigkeit über die Tasten huscht und man die ursprüngliche Spielweise am Cembalo schön heraushört. Es macht einfach sehr viel Freude, diese LP zu hören. Die Nuancen scheinen hier wie im Rampenlicht stärker beleuchtet zu sein.
PS. Die LP gewann den Preis der deutschen Schallplattenkritik 1-2024: Tasteninstrumente!
Larry Coryell - Tricycle (2 LP, 180g Vinyl)
Der US-amerikanische Jazzgitarrist Larry Coryell (1943-2017) gehörte zu den bedeutenden Vertretern des Jazzrock, was seine Doppel-LP „Tricycle“ eindrucksvoll bestätigt. Mit fulminanten Eigenkompositionen sowie zwei Monk-Stücken und einem Beatles-Klassiker demonstriert Coryell mit seinem Trio, wie spannend eine Jazzgitarre sein kann. Zwei Stücke habe ich mir zum Test herausgesucht: einmal das Titelstück „Tricycle“ - eine Ballade - und das wuchtige „Spaces Revisited“. Mit letzterem habe ich begonnen. Es startet mit einem opulenten und energiereichen Drumsolo, ehe Gitarre und Bass einsetzen. Und das hat hier einfach mehr Präsenz.
Michael Mantler - Alien (LP, Vinyl)
„Alien“ ist eine LP des Trompeters Michael Mantler und Keyboarders Don Preston, eingespielt wurde sie 1985 und 2016 bei ECM neu aufgelegt. Dieses Reissue lag mir nun für den Hörvergleich mit zwei Exemplaren vor. Ich muss gestehen, dass mich musikalisch diese Kombination nicht anspricht und sie schien mir auch nicht sonderlich geeignet zu sein. Denn sie ist schon sehr von Prestons Synthesizer-Sounds geprägt, die Trompete von Mantler wirkt für mich ziemlich unterrepräsentiert. Trotzdem habe ich eine der beiden Platten dem Relax-Programm unterzogen und ausführlich mit der unbehandelten LP verglichen. Das Ergebnis erstaunte mich dann doch. Ich habe gleich den ersten Teil dafür herangezogen, das mit einem ziemlich intensiven Drum-Gewitter beginnt und ersten nach ca. 1:40 Minuten kommt die Trompete zum Einsatz. Diese Linn Drums zeigen sich druckvoller, der elektronische Charakter neigt sich zu einem etwas angenehmeren weichen Klang. Die Trompete kommt geschmeidiger, ohne dabei Strahlkraft zu verlieren.
Yael Nachshon Levin - Tigers And Hummingbirds (LP, Vinyl)
War es der rein analogen AAA-Technik gschuldet, dass sich hier dezente, aber eben doch hörbare Vorteile für die Relax-LP einstellten? Aber erst mal zur Platte selbst. „Tigers And Hummingbirds“ ist die 2023 erschienene Schallplatte der israelischen Singer-Songwriterin Yael Nachshon Levin. Veröffentlicht vom Berliner Plattenlabel LowSwing Records, welche sich auf besagte pur analogen Produktionen spezialisiert hat. Mit ihrem angenehm warmen Gesang war Frau Levin zweifellos eine perfekte Kandidatin für eine Aufnahme auf höchstem Klangniveau. Die vorwiegend akustischen Instrumente wie Violine, Trompete, Mandoline, Bass oder Schlagzeug sind ebenso ideal, klangliche Feinheiten einer Schallplatte zu entdecken. So war das Hin und Her beim Auflegen beider Testplatten kein Stress, sondern pure Freude. Die Instrumente sind klarer und die Stimme wirkt fokussierter. Anspieltipp ist die faszinierende Nummer „Tiger“.
Mit dabei waren neben einem umfangreichen Ensemble übrigens hochkarätige Gäste: der amerikanische Jazz-Bassist Greg Cohen, der preisgekrönte Trompeter Sebastian Studnizky, Tindersticks-Drummer Earl Harvin und der Snarky Puppy-Keyboarder Justin Stanton. Ein spannendes Songwriter-Werk mit jazzigen und kammermusikalischen Einflüssen.